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Lesetipps: „Konzerne schmücken sich mit Indie“ / Bitte kein BIP / Einfach nur Bier / Patente auf Fisch

Mein aktueller Blick durch’s Netz… Heute mit einem interessanten Artikel der taz zum Thema Musik/Indie/Kommerzialisierung: „Konzerne schmücken sich mit ‚Indie‘ [1]“. Independet-Musik bezeichnete vor längerer Zeit mal Bands, deren Platten nicht auf den großen Majorlabels veröffentlicht wurden (unabhängig vom Musikstil). Im Laufe der Zeit wandelte sich die Bedeutung und immer mehr wurde „Indie“. Selbst Megaseller, die große Arenen ausverkaufen (Coldplay, Placebo, Muse) dürfen sich diese Bezeichnung noch ans Revers heften. Und wie immer, wenn es darum geht, Trends zu befeuern und zu monetisieren, ist die Reklamewirtschaft vorne dabei. Mittlerweile dudelt bei jedem Fernsehspot ein „Indie“-Hit im Hintergrund und eine ganze Industrie verdient gut am Pflegen eines rebellischen Images von Bands, die längst zu eigenen Marken geworden sind. Die taz befasst sich ein wenig mehr mit dieser Entwicklung, u.a. am Beispiel der Band Revolverheld, die sich von VW mit nagelneuen Autos ködern kaufen unterstützen lässt:

Harte Post, die da ungefragt in unseren elektronischen Briefkasten flatterte: Von der laut Website international operierenden, allzeit bescheidwissenden PR-Agentur GoSee etwa, die die neue “Rockstar inspirierte” Burberry-Kollektion mit den höllisch SCHMERZbereitenden Worten anpreist: “Der kommende Sommer wird so was von Indie Rock!” Richtig gelesen, Indie Rock. Indie Rock?! Der leidgeprüfteste aller leidgeprüften Begriffe mag schon längstens 1.000 Tode gestorben sein. Dahingesiecht wegen Inhaltsleere. Oder mangels Nachfrage. Egal, jetzt reanimiert ihn die britische Modefirma, deren Karos jede zweite SUV-Hutablage schmücken, als “Must Have der Saison”. (…)

(…) In rebellischen Lackschuhen und zu Burberry-Musik im “Dynaudio Soundsystem” eines VW Tiguan in der verkehrsberuhigten Zone ganz langsam über die Stolperschwellen fahrend: So stellt man sich die neuen Indie Rocker vor. Zitat aus einer anderen Mail: “Im Rahmen einer Kooperation zwischen Volkswagen und Revolverheld übernahm die deutsche Rockband am Donnerstag fünf neue Tiguan.” (…)

[2]Deutlich gefährlicher als die Vereinnahmung von musikalischen Schubladen und Bands durch den Kommerz ist natürlich das, was Unternehmen wie Monsanto in den vergangenen Jahren vermehrt treiben: sie versuchen, Pflanzen und Tiere zu patentieren, um so Landwirte und Züchter weltweit in ihre Klauen zu bekommen. Vor einiger Zeit gab es schon solche Bestrebungen mit Schweinefleisch und mit Brokkoli, nun sind Fische an der Reihe, wie der Bund Naturschutz zu berichten weiß – „Bund Naturschutz und Initiative „Kein Patent auf Leben“ warnen vor Patenten auf Fisch [3]“. Man kann nur den Kopf schütteln, was heutzutage alles möglich ist und wie komplett skrupellos manche Konzerne vorgehen:

(…) Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, melden Agrarkonzerne inzwischen Patente auf die Fütterung von Tieren an. Mit diesen Patentanmeldungen wollen sich die Konzerne das Recht aneignen, Lebensmittel, wie Fisch, als ihre „Entdeckungen“ 20 Jahre lang gewerbsmäßig und profitabel zu nutzen.

Solche Patentanträge sind leider Realität, wie Dr. Ruth Tippe von der Initiative „Kein Patent auf Leben“ erläutert, die Woche für Woche am europäischen Patentamt in München neue Anträge durchforstet: Zwei solcher Patentanträge betreffen auch Speisefische. „Diese beiden Anträge beanspruchen ganz generell Fisch(fleisch), das erhöhte Omega-3-Fettsäuren enthält. Monsanto will dies durch Füttern der Tiere mit Gentech-Soja erreichen, das im Fettsäuremuster verändert wurde. Karpfen enthält generell einen hohen Anteil an gesundheitsfördernden, Omega-3 Fettsäuren. Es ist zu erwarten und zu befürchten, dass Monsanto auch Ansprüche auf diese Fische erhebt. Und diese Fischpatente sind kein Einzelfall: Monsanto hat bereits einen Patentantrag eingereicht auf das Fleisch von Schweinen, die mit gentechnisch verändertem Pflanzen des Konzerns gefüttert wurden. (…)

Einen erfreulichen Schritt in Richtung Entschlackung des menschlichen Auges von den grellen Reklamebotschaften geht eine kleine Firma in Berlin, wie Der Moustachio in „Bier [4]“ schildert. Statt vollmundiger, hohler Werbeversprechen und greller marktschreierischer Optik wird hier auf das Produkt als solches gesetzt – ein erfrischender Ansatz, und der „Claim“ der neuen Firma gefällt mir natürlich auch:

“Ziel dieses Projekts ist es, ein Zeichen gegen die visuelle Umweltverschmutzung zu setzen, der die Menschen im urbanen Lebensumfeld permanent ausgesetzt sind.
Unsere Städte sind heute voll von Werbebotschaften. Da sich die meisten Massenprodukte anhand ihres Inhalts kaum noch unterscheiden, werden künstliche Markenwelten geschaffen, die die Produkte zu etwas Besonderem machen sollen.
Doch es wird immer schwieriger, überhaupt noch zu den reizüberfluteten Konsumenten durchzudringen. Die Antwort der Marketing-Fachleute auf dieses Problem? Noch mehr Reklame.
Unser Gegenvorschlag: wir verzichten auf all die abgegriffenen Super-Glitzer-Goldrand-Versprechungen und konzentrieren uns auf das Wesentliche, den Inhalt.
Aus diesem Grund haben unsere Produkte weder einen Namen noch ein Logo. Die Gestaltung ist so schlicht wie irgend möglich. Sie versprechen nicht mehr, als sie definitiv auch halten können: BIER, WEINSCHORLE.
Geschmack braucht keinen Namen.”

Und noch was aus der Wirtschaft – tatsächlich mehren sich doch die Stimmen auch unter Ökonomen, dass man Wirtschaftswachstum (gemessen am Bruttoinlandsprodukt BIP) nicht mehr als (alleinige) Messgröße zur Bestimmung von Wohlstand eines Landes heranziehen würde. Spiegel Online zieht in „Forderung nach neuem Wachstumskonzept – Bitte kein BIP [5]“ ein Resümée eines Kongresses in Berlin:

(…) Doch das Konzept des BIP gerät immer stärker in die Kritik. Messen Ökonomen weltweit gar eine völlig irrelevante Zahl? Tatsächlich sind die Statistiken zum BIP unzureichend, wie nicht nur das Fischerei-Beispiel zeigt:

  • So steigert eine Krankenschwester das BIP, wenn sie Alte in der Geriatrie versorgt. Eine Tochter, die ihre Eltern pflegt, wird dagegen nicht erfasst.
  • Die teure Beseitigung von Umweltschäden geht genauso in die Statistik ein wie der Bau von Niedrigenergiehäusern. Vereinfachend könnte man sagen: Je mehr Umweltschäden beseitigt werden müssen, desto höher ist das BIP.
  • Abstrakte Größen wie Lebenszufriedenheit oder Gesundheit der Bevölkerung werden dagegen überhaupt nicht erfasst. Dabei sollte das Ziel jeder Gesellschaft ja gerade sein, das Wohlbefinden möglichst vieler Menschen so weit wie möglich zu erhöhen.

Unter Ökonomen wachsen deshalb die Zweifel: Ist die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung noch ausreichend, um den Wohlstand einer Nation zu beschreiben? Und welche Alternativen zum BIP bräuchte eine moderne Wirtschaftspolitik in hoch entwickelten Industriegesellschaften? (…)

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