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Anleitung zum Müßiggang

Heute möchte ich Euch, quasi als Gastbeitrag, folgende Buchbesprechung von Andreas G. von der Transition Town Initiative in Kiel [1] mit auf den Weg geben, in der es um das gerade in diesen Tagen des „Aufschwungs“ und der Fantasien von „Vollbeschäftigung“ aktuelle Thema Arbeit und ihre überhöhte Bedeutung geht.

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Tom Hodgkinson: „How to be idle“ (2004),  zu deutsch etwa:  „Anleitung zum Müßiggang“

Der lockere Stil des Buches wirkt zunächst nur unterhaltsam, aber im Verlauf von über 330 Seiten wird deutlich, dass der Autor über eine ernst gemeinte Botschaft verfügt: eine handfeste Kultur-und Konsumkritik, die viele Denkanstöße für gewandeltes Leben liefert.

„Nichts zu tun ist harte Arbeit“, bemerkte schon Oscar Wilde; ausgehend von dieser Einsicht hat der britische Autor Hodgkinson eine Kulturgeschichte der Faulheit, genauer: der Untätigkeit, geschrieben, zugleich eine Kritik der arbeitssüchtigen Lebensweise westlicher Prägung.

Der lockere Stil wirkt zunächst nur unterhaltsam, aber im Verlauf von über 330 Seiten wird deutlich, dass der Autor über eine ernst gemeinte Botschaft verfügt, und seine Biographie unterstützt diesen Eindruck: Seit seinem Universitätsabschluß 1993 hat er erfolgreich jegliche reguläre berufliche Karriere vermieden, und stattdessen die Zeitschrift „The Idler“ begründet; das Emblem der Zeitschrift zeigt eine Schnecke.

Das Buch ist in 24 Kapitel eingeteilt, gemäß den Stunden des Tages; und jede Stunde lädt auf ihre Weise zum Untätigsein, Schwänzen, Entspannen, Nickerchen-Halten, etc ein. Zitate aus einer Vielzahl von Quellen, darunter aus etlichen Werken der Weltliteratur, bilden das Gerüst und belegen, dass Hodgkinson, trotz aller Untätigkeit, ein fleißiger Leser geblieben ist. Es geht ihm auch nicht wirklich darum, rein gar nichts zu tun, sondern um die Freiheit, das zu tun, was er tun möchte.

Diese Freiheit ging verloren durch das Hereinbrechen der Industriellen Revolution über das fröhlich feiernde und trinkende englische Volk, durch die Protestantische Arbeitsethik und das moderne System der „9-to-5″-Büroarbeit. Kapitalismus und Sozialismus beten gleichermaßen, in quasi-religiöser Weise, die Arbeit, den „Job“, an. Nein, Zeit ist NICHT Geld. Und Geld kann man nicht nur nicht essen, man kann es im Alter auch nicht zurücktauschen in Lebenszeit und -kraft.

Hodkinson empfiehlt, nicht vor 10 aufzustehen und den Tag mit einem Gedicht zu beginnen, anstelle der Tageszeitung, die uns mit ihrer täglichen Flut von Katastrophenmeldungen und sonstigen Ausflüssen eines seelisch kranken Zeitalters den Tag versaut.

Mahlzeiten wollen genossen werden, nicht hektisch verschlungen, bevor wir zur Arbeit zurückhasten. Essen wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu essen? Was ist bedrückender als die langen Reihen einsamer Menschen, die mittags im Fast-Food-Restaurant, jeder für sich, ungesundes Essen in sich hineinstopfen?

Natürlich, die ständige Steigerung der Effizienz, die allgemeine Beschleunigung des Lebens und Arbeitens, das kommt aus Amerika; schon Nietzsche hielt die „atemlose Hast der Arbeit“ für das größte Laster der Neuen Welt. Der überarbeitete Arbeitnehmer wird schließlich krank, aber während der Woche ist dafür keine Zeit; mit dem pharmazeutischen Hammer versucht er, sich so schnell wie möglich wieder zurück an die Arbeit zu prügeln. Den Versuch, Krankheiten  vollständig auszurotten, bezeichnet Hodgkinson als ein „faschistisches Programm“; und die Bekämpfung der Müdigkeit am frühen Nachmittag durch Koffein in großer Menge erscheint ihm als „Bürgerkrieg gegen den eigenen Körper“.

Überhaupt, der Kaffee, dieses Getränk der Effizienz-Kultur. Viel stilvoller ist es, in andächtiger Ruhe Tee zu trinken, etwa wie die buddhistischen Mönche; das Kapitel über das Tee-Trinken ist vier Uhr nachmittags zugeordnet. Mit seiner offenkundigen Freude an weltlichen Genüssen, an Wein, Weib und Zigaretten, ist Hodkinson übertriebener spiritueller oder esoterischer Neigungen unverdächtig; dennoch bewundert er die buddhistische Vorstellung vom puren Sein, vom Leben im gegenwärtigen Augenblick. Als Hobby empfiehlt er das Angeln (7 Uhr abends): stundenlanges Nichtstun.

Unsere Kultur mißbilligt das Nichtstun; wer gerade nicht arbeitet, soll wenigstens aktiv konsumieren. Wer nur ziellos „herumlungert“, womöglich als Vagabund, paßt nicht ins Schema. Immer muß irgendwas getan werden. Blaise Pascal sagte dazu, „Die Hauptursache des Unglücks des Menschen liegt darin, daß er es nicht versteht, friedlich in seinem Zimmer zu bleiben“. Stattdessen führt er lieber Kriege, baut Konzerne auf und beutet die Natur aus; das sind akzeptable Formen des Zeitvertreibs.

Der Tag klingt aus mit gemütlichem Beisammensein um das Kaminfeuer herum; aber statt des Feuers flackert in unseren Wohnungen der Fernseher, dieses überdrehte unharmonische Gerät, das das Gespräch abwürgt, uns mit Aufforderungen zum Konsum konditioniert und unsere Kinder hyperaktiv werden läßt.

Die Dunkelheit, als kennzeichnendes Attribut der Nacht, hat uns der Erfinder der Glühbirne (der von sich behauptete, kaum Schlaf zu benötigen, aber häufig beim Dösen ertappt wurde) geraubt, auf dass wir selbst nachts noch fleißig arbeiten können. Wieder wurde die Effizienz gesteigert, mit der der Mensch seinen Wettlauf mit sich selbst ableistet. Dass ein Großteil der Arbeit nicht wirklich notwendig oder nützlich ist, künstlich erzeugt im Zuge dieses Wettlaufs, haben scharfsichtige Beobachter wie George Gissing schon vor mehr als 100 Jahren erkannt; Bertrand Russels Gedanken zu diesem Thema sind lesenswert („In praise of idleness“, 1932).

Wer also die Philosophie des Müßiggangs verinnerlicht hat und demzufolge seine wöchentliche Arbeitszeit und Effizienz reduziert, steht vermutlich vor einem neuen Problem: Das Geld reicht nicht mehr. Diese Frage wurde Hodgkinson von Lesern gestellt, und neuere Ausgaben seines Buches enthalten auch seine Antwort darauf. Nicht ganz überraschend empfiehlt er, seine Ausgaben zu reduzieren – wer generell weniger tut, wird auch weniger ausgeben, da er weniger benötigt – und mehr selbst herzustellen, anstatt zu kaufen, beispielsweise selbst Brot zu backen und Gemüse anzubauen. Spätestens an dieser Stelle wird der Zusammenhang von „How to be idle“ mit „resilience“ und „transition culture“ unübersehbar.

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