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Was ist mit Werbung nicht in Ordnung? (What’s wrong with advertising?) Teil 2: Eindringen/Einmischung

Heute setze ich endlich meine Übersetzung der Texte von Prof. Hugh Rank von der Governors State University in Illinois fort, in denen es um Persuasion Analysis [1], und darin speziell um Werbung geht. Teil 1 war ein Übersichtsartikel [2], der die vielen möglichen Kritikpunkte an Werbung auflistete. Im heutigen Artikel geht es um den ersten Punkt – „Eindringen/Einmischung („… zu viele Anzeigen“) [3]“.


Was ist mit Werbung nicht in Ordnung?
Eindringen/Einmischung

Viele Menschen beklagen sich über das nervige Eindringen von Werbung in „ihre Zeit“, weil Anzeigen permanent ihr Fernsehprogramm unterbrechen: „zu viel, zu oft, zu viel Reklame“.

„Das wachsende Eindringen von Marketing und Werbung hat zu einem übersättigten Markt geführt und hebt den Widerstand der Konsumenten auf ein Allzeit-Hoch…“ (Yankelovich Report [4], April 2004)


tsq [5]

© O. Fischer, pixelio

Typische Kommentare von Studenten über die Zudringlichkeit von (TV-)Werbespots:

„… zu viele Spots… sie unterbrechen das Spiel… wiederholen sich zu sehr… Sie spielen die selben Werbeclips immer wieder und wieder… Man kann ein gutes Fernsehprogramm nicht genießen, wenn man andauernd unterbrochen wird… Werbung nervt einen die ganze Zeit… Werbung nimmt zu viel Platz ein… Reklame nimmt zu viel Zeit innerhalb eines Programms in Anspruch… Ich habe Kabelfernsehen, um Werbung zu vermeiden, aber sie ist immer noch da… zu lang… sie unterbrechen das Programm immer an den interessanten Stellen… gerade wenn der Film spanennd wird… Werbung ist zu laut… die selben Spots werden so oft wiederholt, bis man sie nicht mehr ertragen kann… ein Großteil meiner E-Mails besteht aus Spam… Firmen geben zu viel Geld für Werbung aus… Ich hasse diese langen Infomercials… Werbung ist überall… Es werden so viele Werbespots hintereinander gebracht, dass man vergisst, worum es in der Sendung überhaupt ging… Radiowerbung ist langweilig, wenn ich darauf warte, Musik zu hören… Übersättigung… Ich fühle mich von Werbung überschwemmt… Eindringen in mein Privatleben… Sie ist überall…“


Viele dieser Klagen sind naiv, egozentrisch und fußen auf Ignoranz, auf einem fehlenden Verständnis dafür, dass:

– Kommerzfernsehen der Hauptmarktplatz unserer Gesellschaft ist.
– Fernsehprogramme hauptsächlich deshalb existieren, um Werbetreibenden ein Publikum zu bieten.
– „Wer die Band bezahlt, bestimmt die Musik.“


Verstopfung/Zumüllung

Auch Werbetreibende machen sich Sorgen über „zu viele Anzeigen“. Aber sie befürchten eher, dass ihre Werbung, ihr Produkt, in der Verstopfung durch all die anderen Anzeigen untergeht. Vor dem Amtsantritt von Ronald Reagan gab es eine Verordnung, die die maximal zulässige Sendezeit von Werbung begrenzte. Dann wurden diese Beschränkungen aufgehoben. Heutzutage können Fernsehstationen so viel Werbung senden wie sie wollen, beschränkt nur durch die Gefahr, ihre Zuschauer zu verlieren.

Deshalb hat bis zum Jahr 2000 die Sendezeit für Werbung auf inzwischen 13 Minuten (25–30 Spots) pro Stunde in der Hauptsendezeit zugenommen. Andere Programme mit einem „gefesselteren Publikum“ (wie Samstagvormittags-Kindersendungen und Spätfilme) weisen noch mehr Spots pro Stunde auf. Wenn Sie 7 Stunden Fernsehen am Tag schauen (wie Nielsen es für die „Durschnittsfamilie“ herausfand) sehen Sie täglich über 182 Werbespots (7 x 13 Minuten = 91 Minuten x 2 durch 30 Spots = 182).

Zum Zeitpunkt seines Grundschuleintritts hat ein 6jähriges Kind in Amerika bereits über eine Viertelmillion an Werbebeiträgen im Fernsehen geschaut.

Mehr über diese Zumüllung finden Sie im 2005er PBS-Programm „Frontline – The Persuaders [6]“.


Ausmaß an Toleranz

Menschen ertragen mehr Anzeigen in Printmedien (Zeitungen und Zeitschriften), weil sie die Anzeigen leichter überfliegen und so diejenigen, die sie nicht interessieren, überblättern können. Außerdem suchen sich manche Leute gewisse Zeitschriften (Modehefte, Hochzeitsmagazine, Kochen, Dekoration) und lokale Zeitungen speziell wegen der Anzeigen darin aus.

Zuschauer tolerieren Werbung eher im kommerziellen Fernsehen (wo sie Kommerz erwarten) als im Kabelfernsehen oder auf öffentlich-rechtlichen Sendern. Zu Beginn waren alle kommerziellen Fernsehsender in den USA „frei“ für die Zuschauer (finanziert durch Werbung), anders als in anderern Ländern, wo eine jährliche Gebühr erhoben wird, um werbefreies Fernsehen zu finanzieren. Als das Kabelfernsehen aufkam, versprach es seinen bezahlenden Kunden werbefreie Spezialprogramme, doch bald erschienen Reklamespots auch auf den meisten dieser Sender.

Zu Beginn des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (und Radios) waren diese werbefrei (finanziert durch parteienneutrale Regierungsstellen). Doch schon bald „zwangen“ die Politik und Unterfinanzierung die Sender, auch Gelder von Firmen-„sponsoren“ zu akzeptieren, die viele „weiche“, „Wohlfühl“-Anzeigen schalteten und solche, die das Konzernimage stärken sollten. (Wie können Sie sich über die Ölfirmen aufregen, wenn sie so ein gutes Programm sponsorn?) Zuerst zielte solche Werbung nur auf Erwachsene ab (Sonntagmorgens, Talkshows), aber nun attackieren viele Sponsoren Vorschulkinder in ihren Kinderprogrammen; z.B. die Juicy-Juice „Wohlfühl“- und Markenerkennungs-Spots, so dass 4- oder 5jährige, die mit ihrer Mutter einkaufen gehen, diese Produkte wählen.

Leute ertragen Werbung, die in Filmen eingebettet ist („Product Placement“), eher in Hintergrundszenen als in Großaufnahmen, wenn der Filmheld eine Dose eines Softdrinks hochhält, die von dem Konzern produziert wird, der beides (Filmstudio & Getränkeproduktion) besitzt.

Pop-Ups und blinkende Werbebanner im Online-Bereich entwickeln sich rasch zu der störendsten Form des Eindringens der Werbung.


Allgegenwart

Werbung ist praktisch überall in unserer Gesellschaft. Man kann Reklame nicht ausweichen. [Anm. PM: Zwar nicht komplett, aber einen Großteil der Kommerzpropaganda kann man schon aus seinem Leben verbannen: kein Privat-TV oder -Radio, Adblocker im Browser, keine werbefinanzierten Zeitschriften, kein Flanieren in Shopping-Centern.] Werbung wird nicht verschwinden.

Beispiele für viele neue Techniken finden Sie hier: „Zipping and zapping ads works with VCRs, but not in reality [7]“ (Wegzappen von Werbung geht beim Videorecorder, aber nicht im realen Leben)


Geräuschbelästigung

Glücklicherweise gibt es in den meisten amerikanischen Städten Gesetze gegen Lastwagen, die mit ihren plärrenden Lautsprechern umher fahren, aber diese Wagen sind in anderen Ländern ohne solch strengen Gesetze oder Konsumentenschutz, durchaus üblich.


Visuelle Verschmutzung

Im Jahre 1965 leitete die Frau von Präsident Lyndon Johnson (Lady Bird Johnson) eine Kampagne für den „Highway Beautification Act“, um die 600.000 Plakatwände loszuwerden, die schnell am Rande des neuen Interstate-Autobahnnetzes entstanden waren. Unter großem öffentlichen Druck verabschiedete der Kongress schließlich das Gesetz.

Aber nachdem das öffentliche Interesse wieder eingeschlafen war, überzeugten die Werbetafel-Lobbyisten im Stillen genügend Mandatsträger, um den Etat zu begrenzen, der jedes Jahr nötig war, um den Besitzern der existierenden Plakatwände die „Entschädigung“ zu zahlen. Deshalb stehen auch 40 Jahre später noch über 200.000 Plakatwände an den Straßen.

Viele Städte verkaufen heutzutage Werbefläche (Bänke, Bushaltestellen) und „Sponsor“rechte für öffentliche Erholungseinrichtungen, und erlauben so das zeitweise Aufstellen von Plakaten und Werbebanner bei Konzerten, Festivals, Rennen oder jeglicher Versammlung größerer Menschenmengen im öffentlichen Raum.

In den Schulen verspricht Channel One seinen Werbekunden, dass sie keine Überfüllung zu befürchten habe, keine andere Werbung, im wertvollen „Tagesteil“ (9 Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags), während sie ein Zielpublikum von über 8 Millionen Schülern in 15.000 Schulen liefern. [Anm. PM: Zum Glück gibt es inzwischen immer mehr Initiativen an Schulen, die diesen Sender aus dem Unterricht verbannen.]

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