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Lesetipps: Wachstumskritik | Gnadenlos flexibel | Geldfreie Ökonomien | Unappetitliche Allianzen | Kartelle

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© Marcus Sümnick, Wikipedia

Wirtschaftswachstum gilt in unserem System bekanntlich als sakrosankt – wer dieses und damit die dahinterstehende Wirtschaftsideologie kritisiert, sieht sich in der Regel sofort den Vorwürfen ausgesetzt, „zurück in die Steinzeit“ zu wollen. Dass ein materielles Wachstum diesen Planeten und die menschlichen Gesellschaften auf eine Katastrophe zusteuert, versuchen die arbeitsplatzfixierten Ökonomen und Politiker krampfhaft zu verdrängen. Was nur nichts nutzen wird. Es ist also Zeit für ein Umdenken. Der Oldenburger Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech ist seit längerem einer dieser unbequemen Mahner, und er hat dem Tagesspiegel nun ein interessantes Interview gegeben – „Sehe ich aus wie ein Hippie? [2]“:

(…) Sie sind der radikalste Wachstumskritiker unter den Ökonomen. Doch den Deutschen geht es heute viel besser – dem wirtschaftlichen Wachstum und der Freude am Konsum sei Dank. Jeder hat mehr als noch vor 20 Jahren.

Nur um welchen Preis? Den Klimawandel und andere Zerstörungen der Natur bestreiten nur noch Wahnsinnige. Dann erleben wir Peak Oil, das heißt, zwischen 2005 und 2009 wurde das Fördermaximum des Erdöls auf dem Planeten erreicht. Dieses Problem ist nicht zu lösen, uns bricht damit die Basis des Wohlstands weg. Die dritte Krise ist eine psychologische. Die Zivilisationskrankheit Nummer eins in den reichen Nationen ist die Depression. Weil die Menschen nicht nur von ihrer Arbeit fertiggemacht werden. Hinzu kommt ein neuer Leistungsdruck, nämlich durch Konsum und ständigen Mobilitäts- und Telekommunikationsstress. (…)

Das Wirtschaftsmagazin „brand eins“ hat bei einer Architektin Inventur gemacht, sie hatte 3506 Dinge. 26 Prozent davon gebrauchte sie regelmäßig, 47 Prozent gar nie.

Ich nenne diese Krankheit Konsumverstopfung. Vor allem Kinder und Jugendliche verlieren dadurch die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. (…)

Da die Konsumneigung vieler Menschen aber immer noch, Wirtschaftskrise hin, Armutsbericht her, ungebrochen ist, boomen auch Internetversandhandelshäuser wie Amazon. Über die dort anzutreffenden grenzwertigen Beschäftigungsbedingungen, bei denen der amerikanische Konzern jede Gesetzeslücke ausnutzt, um Subventionen abzugreifen, habe ich ja schon einige Male berichtet. Für solch ein Unternehmen ist die Erfindung der Leiharbeit natürlich auch ein Segen, um mit Menschen wie mit anderen Produkten verfahren zu können – sie sind disponibel und austauschbar. Die Zeit schildert die ganze Malaise in „Onlinehandel: Gnadenlos flexibel [3]“:

(…) Die Kehrseite des Erfolges: Im Inneren der gigantischen Warenumschlagmaschine herrscht enormer Druck. Die Technik gibt den Takt vor, eine spezielle Software weist den Pickern den Weg durch die riesigen Hallen. Picker sind jene Lagerarbeiter, die die Smartphones, Drucker oder Katzenklos aus den Regalen picken. Sie legen leicht 20 Kilometer und mehr am Tag zurück. Ist jemand nicht schnell genug, wird er zum Gespräch zitiert. Wer sich auch dadurch nicht ausreichend beschleunigen lässt, dem droht eine Abmahnung. (…)

Leiharbeiter [4] kamen bislang nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. In diesem Jahr aber ist das anders. Bundesweit und im benachbarten Ausland suchen Zeitarbeitsfirmen mindestens 4.000 Mitarbeiter, unter anderem für das Logistikzentrum in Graben bei Augsburg, wo es im vergangenen Jahr noch jede Menge Ärger gab. In ihrer Not wandten sich Amazon-Mitarbeiter sogar an die Kirche. Irgendwann wurde es Erwin Helmer zu bunt. Der Präses der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und Leiter der Betriebsseelsorgen verfasste einen offenen Brief an die örtliche Geschäftsführung von Amazon. Es gebe »beunruhigende Berichte von Arbeitnehmern«, ließ er sie darin wissen. Heute sagt er: »Man kann ja verstehen, dass vor Weihnachten viel los ist, aber es ist schon extrem, was die Menschen berichtet haben.« Manche hätten sogar monatelang keinen Lohn erhalten. (…)

Andere Umtriebe der Wirtschaft, die zu Lasten der Verbraucher gehen, sind Kartelle. Einige beobachten wir jeden Tag, z.B. an den Tankstellen. Andere blühen eher im Verborgenen, wie in der Kaffeebranche. Der neue Blog RöstersCoffeeCorner [5] machte mich auf einen älteren Artikel in der FAZ aufmerksam, der sich genau mit der Problematik befasste – „Kartelle – der organisierte Verbraucherbetrug [6]“. Alles Auswüchse unserer ach so freien und sich selbst regelnden Märkte, nebenbei bemerkt:

Erst Zement, dann Kaffee, Dachziegel und Brillengläser. Und jetzt auch noch Badewannen. Die spektakulären Kartelle häufen sich. Wettbewerbshüter jagen nach modernen Kartellbrüdern, die sich heimlich in Flughafenhotels treffen.

(…) Den bisherigen, vor Gericht allerdings noch umstrittenen, deutschen Bußgeldrekord hält mit 661 Millionen Euro ein Zementkartell. Allen Fällen ist die professionelle, gut organisierte Vorgehensweise gemeinsam. Moderne Kartellbrüder machen im großen Stil und in fest etablierten Strukturen „Preispolitik“ quer durch die jeweilige Branche. In „Gesprächskreisen“ oder „Arbeitsgruppen“ werden Absatzgebiete aufgeteilt, Rabatte und Boni vereinbart und „Preisempfehlungen“ ausgehandelt. Immer wieder dienen dabei die Branchenverbände als Transmissionsriemen oder stille Koordinatoren. (…)

(…) Doch inzwischen rücken auch die Hersteller von Konsumgütern immer stärker in das Visier der Wettbewerbshüter. Bisheriger Höhepunkt war im Frühjahr die Razzia im Einzelhandel: Zwei Dutzend Handelsunternehmen und Markenartikelhersteller sollen Mindestpreise für Tierfutter, Süßwaren und Kaffee vereinbart haben. Einen Grund für diese Entwicklung sieht Justus Haucap, der Vorsitzende der Monopolkommission, in der Marktkonsolidierung. (…)

Auch andere unerquickliche Entwicklungen gibt es, wenn sich eigentlich renommierte NGOs für die Zwecke von Firmen einspannen lassen – die NachDenkSeiten schrieben über „Unappetitliche Allianzen – Der Kinderschutzbund geht eine Sozialpartnerschaft mit der Filiale einer Fastfood-Kette ein [7]“:

Der Gießener Anzeiger berichtet in seiner Ausgabe vom 24. November 2012 über die Eröffnung einer Filiale der Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken (KFC). Dreihundert geladene Gäste hätten am Tag vor der offiziellen Eröffnung an einem sogenannten Pre-Dinner teilgenommen und dabei für einen wohltätigen Zweck gespendet. Der Orts- und Kreisverband des Deutschen Kinderschutzbundes wird zukünftig Sozialpartner der Filiale sein. Dieser hat es sich zur Aufgabe gemacht, „die körperliche, seelische, geistige und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern und der Gefährdung des Nachwuchses entgegenzuwirken“. (…)

Dann sollte man ihnen demonstrieren, wie gut vernünftig erzeugte und anständig zubereitete Nahrungsmittel schmecken. Ich finde es unglaublich, dass eine Vereinigung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Gefährdungen von Kindern abzuwenden, eine Sozialpartnerschaft mit einer solchen Fastfood-Kette eingeht. Eine Sitzblockade hätten die Kinderschützer anlässlich der Neueröffnung organisieren sollen! Seit die Fastfood-Ketten bei uns Fuß gefasst haben, also seit rund zwei Jahrzehnten, hat sich die Anzahl der fettleibigen Kinder fast verdreifacht. Man weiß, dass es diese Unternehmen darauf anlegen, den Geschmack der Kinder zeitig so zu prägen, dass sie schließlich nur mehr nach diesem sogenannten Essen verlangen und kaum noch anderes anrühren. Schlechte Essgewohnheiten bremsen die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und machen krank. Mehr als 70 Milliarden Euro muss das deutsche Gesundheitswesen jährlich für die medizinischen Folgen von falscher Ernährung aufwenden. Fast jeder Zweite hierzulande ist übergewichtig, darunter mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche – 15 Prozent aller Mädchen und Jungen. Rund 1,4 Millionen Heranwachsende zeigen Symptome einer Essstörung.

Malbouffe – Scheißfraß – hat der französische Bauernrebell José Bové die Angebote der Fastfood-Ketten genannt. Vor Jahren hat er mit einigen Mitkämpfern und unter Zuhilfenahme ihrer Traktoren eine McDonald-Filiale in Südfrankreich verwüstete und ist dafür für Jahre ins Gefängnis gegangen. Tausende von Franzosen haben Bové am Tag seiner Entlassung vor dem Gefängnis erwartet und ihn begeistert empfangen. Vor Jahren habe ich einen amerikanischen Starkoch gesehen, der beim Gang über die Frankfurter Buchmesse vor einem Fastfood-Lokal stehen blieb und sagte: „Was ist eine Pershing-Rakete gegen diesen Fraß? Damit verwandeln die US-Konzerne die ganze Menschheit in verfettete, hirnlose Idioten!“ Hamburger und Chicken McNuggets seien Teil einer biologischen Kriegsführung, gewissermaßen kulinarische Massenvernichtungswaffen, keine Lebensmittel. Der König Herodes war jedenfalls ein Stümper im Vergleich zu diesen Fastfood-Ketten. (…)

Zeit für ein paar Anregungen zum Umdenken – auf Social Innovations macht sich Anitra Nelson Gedanken über „Geldfreie Ökonomien global und lokal: Der einzige Weg zu weltweiter Nachhaltigkeit? [8]“:

(…) Wir versuchen an den alten, nicht nachhaltigen Lebensweisen festzuhalten, namentlich am Kapitalismus, anstatt nachhaltige zu etablieren. Kapitalistische Praktiken basieren auf dem Handel, auf dem Tausch von Gütern und Dienstleistungen gegen Geld, und darauf, Güter und Dienste für den Handel zu produzieren. Das heißt, im Kapitalismus ist der ganze Produktionsprozess, sind alle Entscheidungen darüber, wie und was produziert werden soll, auf den Markt ausgerichtet.

Diese Marktlogik benutzt die monetäre Kalkulation. Es scheint daher als wäre Geld unser gemeinsamer Gott, unser zentraler Wert. Es sieht so aus als würde Geld die Prinzipien all unserer grundlegenden Beziehungen und Aktivitäten stellen.

Im Rahmen dieser Mainstream-Perspektive müssen sogar Nachhaltigkeitsinitiativen “wirtschaftlich” sein. Ein Beispiel dafür ist die Vorherrschaft der „triple bottom line“, wonach Projekte und Unternehmen nach den Kriterien „people, planet, profit“, das heißt sozial, ökologisch und wirtschaftlich beurteilt werden sollen. Die Welt wird also in der Nachhaltigkeitsdebatte immer noch mit kapitalistischen Augen betrachtet: fragmentiert in einzelne Komponenten, die nach wie vor mit wirtschaftlichen Kriterien und nach ihrer wirtschaftlichen Berechtigung beurteilt werden, das heißt nach ihrer Profitabilität.

Während kapitalistische Unternehmen ihren Erfolg anhand der Profitabilität messen, sind kapitalistische Staaten um exponentielles wirtschaftliches Wachstum zentriert. Dabei steht der Überkonsum an der Basis der nicht nachhaltigen Dynamik, die uns mit unserem eigenen Aussterben bedroht, als würden wir den kollektiven Selbstmord wählen. Alle maßgeblichen internationalen, zwischenstaatlichen Institutionen und Regierungseinrichtungen unterstützen den Handel und die Produktion für den Handel. Auf diese Art vermeiden das Kyoto-Protokoll und andere internationale Bemühungen substanzielle Vereinbarungen zum Klimaschutz und für die Schaffung der Grundlagen globaler Nachhaltigkeit. (…)

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