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PR in der Schule

[1]So, nachdem ich am Freitag auch mal ein Beispiel für positive Ideen in meinen Blog gewuchtet habe, muss ich Euch heute leider wieder mit den unschönen Seiten unseres Systems konfrontieren. Anlass ist der Beitrag „Lehrmittel – PR in der Schule [2]“ in der NDR-Sendung ZAPP. Schon vor einer Weile hatte ich ja über die besonders perfide und verabscheuungswürdigen Machenschaften gewisser PR-Agenturen und Konzerne berichtet, die sich ihre Kunden bereits im Kindesalter an Land ziehen wollen, indem sie Kinder und Jugendliche dort beeinflussen, wo sie es am wenigsten erwarten und auch am wenigsten wehren können, nämlich in der Schule (siehe z.B. meinen Artikel „Propaganda im Klassenzimmer [3]“). Dies ist bereits schlimm genug, wenn es sich um plumpe Markenreklame handelt, mit denen die Hirne junger Menschen verkleistert werden, wird aber fast schon kriminell, wenn ideologische Ideen wie die der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in die Klassenräume gebracht werden sollen.

Geschickt und skrupellos nutzen Firmen und ihre PR-Schergen dabei die chronische Klammheit vieler öffentlicher Schulen und KITAs aus, um quasi wie bei einem trojanischen Pferd mit Hilfe von kostenlosen Unterrichtsmaterialien auch gleich ihre eigenen Botschaften zu transportieren und ihre Produkte und Dienstleistungen ins rechte Licht zu rücken. Ich wage zu bezweifeln, dass wirklich alle Lehrer diese Materialien dann mit den entsprechend kritischen Worten begleiten, um die Schüler daran zu erinnern, wachsam gegenüber solchen „Informationen“ zu sein. Die Beispiele, die in dem neuen ZAPP-Beitrag zur Sprache kommen, sind schon echt krass – mit welcher offenen Dreistigkeit da die Kinder & Jugendlichen indoktroniert werden sollen, lässt mich nur den Kopf schütteln. Man kann nur hoffen, dass die Adressaten dieser „mindfucks“ richtig damit umzugehen wissen und sich (zu Recht) verarscht fühlen.

Alle sind scharf auf Jugend. Damit ist nicht nur das Äußere gemeint. In der Wirtschaft sorgen sich Unternehmen um den Kunden von morgen. Und wo trifft man den am leichtesten? An Schulen. Nun gibt es viele Unternehmen, zum Beispiel auch den NDR, die Informationsveranstaltungen an oder besondere Kooperation mit Schulen machen. So manches Unternehmen geht viel weiter und nutzt den Schutzraum Schule, wo es ja nun vor allem um allgemeine Wissensvermittlung gehen soll, für knallharte Kunden und Mitarbeiter Akquise. Und Journalisten, die das eigentlich anprangern sollten, unterstützen die Unternehmen sogar noch dabei.

Auf dem Vermögensberatertag feiert die Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG), einer der großen Player der Finanzbranche, mit willigen Imagehelfern aus Prominenz und Politik.

Felix Kamella von “LobbyControl” erklärt: “Die DVAG als Unternehmen ist einer der größten Finanzdienstleister in Deutschland. Ihr Geschäftsmodell ist beispielsweise die Provisionsberatung, die seit Jahren in der Kritik steht und deswegen betreibt die DVAG auch schon seit Jahren intensiv Lobbyarbeit.”

Und dafür kümmern sie sich auch um künftige Kunden. In Kooperation mit “Handelsblatt macht Schule” sponsert die DVAG Lehrmaterialien zum Thema “Finanzielle Allgemeinbildung”. Von Lehrern werden diese gern genommen. Die gedruckte Auflage liegt bei 10.000 Stück und laut Handelsblatt werden sie jeden Monat mehrere Tausend Mal aus dem Netz geladen.

Felix Kamella: “Dann ist es so, dass die Klasse an sich ja ein ganz besonderer ja geschützter Raum ist. Und wenn es eine Idee, eine Marke erst mal in den Unterricht geschafft hat, dann sind ihm dort 45 Minuten Aufmerksamkeit sicher. Und die Schüler können natürlich nicht einfach wegschalten, sondern sind dann dieser Beeinflussung ausgesetzt.”

Beeinflussung im Klassenzimmer zu Geldanlagen und Versicherungen

Seitenlang kommen Themen wie Aktien und Lebensversicherungen als seriöses Lehrmaterial daher und zufällig sind das genau die Themen der DVAG.

Reinhold Hedtke, Professor für Wirtschaftsdidaktik an der Universität Bielefeld, erklärt: “Ich glaube, es ist ein didaktisches Desaster, was da passiert. Weil eigentlich sollten die Schülerinnen und Schüler lernen, dass sie mit Skepsis und Misstrauen Finanzvertrieben gegenüber treten, und sie lernen in dieser Unterrichtseinheit genau das Gegenteil.” (…)

(…) Auch ein Nachrichtenmagazin hat die Schüler für sich entdeckt. Der “Focus” produziert mit “Wir erklären die Wirtschaft” (Januar 2010) Schulmaterial im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Und in einer weiteren Reihe präsentiert Focus Arbeitsblätter über das Unternehmen “Bosch Siemens Hausgeräte”.

Professor Reinhold Hedtke: “Das Material lenkt die Schülerinnen und Schüler immer nur auf die Seiten und Produkte von Bosch Siemens Haushaltsgeräte. Es wird sozusagen deutlich gemacht, dass die dort führend sind, und es wird überhaupt keine kritische Distanz zu diesem Unternehmen aufgebaut. Darüber hinaus dienen diese Unterrichtsmaterialien dazu, dass Bosch und Siemens rechtzeitig an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen.”

Gleiche PR-Strategie, anderer Auftraggeber. In den Materialien für Schüler ist Bosch das Thema. Es geht um Produktdesign, Nachhaltigkeit und Bosch als Arbeitgeber. Auf Anfrage sagt der “Focus” dazu, das Material von Bosch gebe es lediglich “ergänzend” und “separat”, es werde “nicht aktiv an Lehrer verschickt”. Doch in den Informationen für Lehrerinnen und Lehrer steht explizit als Ziel: “BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH kennen lernen”. Und neben Bosch profitiert auch der “Focus”.

Felix Kamella: “Das Kalkül der Zeitschriften, beziehungsweise der Verlage ist ganz klar, dass es hier darum geht, zukünftige Leser zu finden und die Schüler, die möglicherweise von zu Hause keine andere Zeitung kennen, dann hier exklusiv mit einer Zeitung in Kontakt kommen.”

Und so profitieren alle, nur nicht die Schüler. Unter dem Deckmantel eines praxisnahen Unterrichts werden Schüler zu Spielbällen für Wirtschaft, Verlage und Interessenverbände.


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