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„Scheiß RTL“

Ja, mit der einfachen Aussage „Scheiß RTL“ kann ich mich gut anfreunden. Seit Jahr und Tag produziert dieser Sender televisionären Müll und senkt das Niveau des Fernsehens jedes Jahr aufs Neue, sei es nun mit so einem Dreck wie dem Dschungelcamp oder vor allem ihren ganzen Dokusoaps, in denen Menschen vorgeführt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Ich will an dieser Stelle gar nicht weiter ins Detail gehen, das macht beispielsweise der Videopodcast fernsehkritik.tv regelmäßig. Holger Kreymeier hat sich nun gleich direkt mit dem Sender angelegt, indem er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Scheiß RTL“ produzieren ließ, woraufhin ihm sofort eine Abmahnung ins Haus flatterte. Den Hinweis, dass der Schriftwechsel ebenfalls nicht veröffentlicht werden darf, ignorierte er und präsentierte ihn auf seinem Blogbeitrag „Scheiß RTL, armes RTL [1]“. Nun geht eine Welle der Empörung oder Sympathie durch das Web, und auch andere Medien springen darauf an.

Man darf gespannt sein, ob RTL es hier auf einen Rechtsstreit ankommen lässt – die Jungs sollten sich mal lieber an die eigene Nase fassen und darüber nachdenken, ob man mit der Jagd auf die Quote wirklich jegliche Hemmungen fallen lassen muss, wie es dessen Sendungen dauernd beweisen (zuletzt mit der dummdreisten Berichterstattung über die Gamescom). Mal ganz zu schweigen davon, dass RTL mit seinen ganzen Untersendern zu Bertelsmann gehört [2] und schon von daher zu boykottieren ist.

Scheiß RTL! – MyVideo [3]

Bei der Gelegenheit fällt mir auch wieder ein Artikel ein, den ich vor vielen Jahren (um genau zu sein am 28.3.1993!) zusammen mit einem Freund über RTL und dessen sensationsgieriges Programm geschrieben habe. Ich will den Text an dieser Stelle der Vergessenheit entreißen und Euch hier mal präsentieren:

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It’s springtime again

„Also, der Selbstmörder vom letzten Mal, der sich vor laufender Kamera die Pulsadern aufgeschnitten hatte, der war ja ganz fotogen, aber für unsere neue Folge von «Augenzeugen sterben schneller» brauchen wir diesmal einen richtig guten Aufhänger, der zieht. Jemand Vorschläge?“ Der Programmdirektor Karl Khoma des berüchtigten Privatsenders blickte heraus­fordernd in die Runde. Die versammelten Ressortleiter sehen verlegen aus dem Fenster, drehen geistesabwesend Däumchen oder lackieren augenrollend ihre Fußnägel.

Nach peinlichen zwei Minuten Totenstille einigen sich die Anwesenden darauf, den Neuen vorzuschieben. Ein kleines schmächtiges Männchen wird bescheiden herbeigezerrt. Es handelt sich um Paul „Schlicht“ Plump, ehemals erfolgloser hochdotierter Nachrichtensprecher bei den Öffentlich-Rechtlichen, der seit zwei Wochen Chef des sogenannten „In-Teams“ ist. In sein Aufgabengebiet fallen alle delikaten Ermittlungen, Live-Takes aus den Rotlicht-Bezirken und Reality in all seinen schillernden Spielformen. Er stottert: „Ähm…“

„Sie haben also einen Vorschlag?! Ist ja interessant! Na, man lernt nie aus. Heraus damit!“
„Na ja, ich meine, wenn Sie soo fragen, meine ich… äh… wir könnten ja, da, na, Frühling ist, mal etwas über den Frühling bringen…“
„Hmpf. Das ist ja was ganz Neues. Und so originell. Meinen Glückwunsch. Mit solch innovativen Ideen sollten ja eigentlich Sie der Chef sein. Ich verneige mich zutiefst vor Ihrer Geistesleistung. Nehmen Sie doch schon mal auf meinem Sessel Platz, bittschön.“, meint der Direktor völlig ungerührt.

Geschmeichelt setzt sich Plump. „Damit habe ich eigentlich erst in ein bis zwei Wochen gerechnet.“  meint er und freudestrahlt mit über 3 Dezibel. Mit den erklärenden Worten „Ich verspüre ein dringendes Bedürfnis…“ greift Khoma zur Reißleine unter dem Schreibtisch, zieht beherzt ab und läßt Plump auf Nimmerwiedersehen in den Annalen der sendereigenen Senk- und Denkgrube ver­schwinden. „… Sie abzuservieren“, beendet Khoma diese leidige Episode. „Falls noch jemand von Euch solch weichgespülte brillante Einfälle hat, kann er gleich freiwillig hinterherspringen… Frühling! So eine Frechheit! Als wenn die Leute sonst keine Sorgen hätten. Was wir brauchen ist eine knallige Headline-Story, ein Reißer, auf gut Deutsch. Sowas wie dieser spektakuläre Amokläufer letztes Jahr, der uns halb Klein-Bückelsen um die Ecke brachte, dann den Präsidenten entführte und sich anschließend per «Verzeih mir» mit tränendurchweichtem Blumenstrauß reuig entschuldigte. Unsere Einschaltquoten schossen damals gen Himmel.“

„Das war doch noch was, als wir die ganzen Leichen, die er auf dem Gewissen hatte, hinter ihm her in sein Grab kippten. Ich hab noch tagelang danach herzlich gelacht und die Werbeeinnahmen gezählt.“ ergänzt der Promotion-Assistent buckelnd.

„Richh-tig. Aber jetzt will ich endlich Resultate sehen. Wenn Ihr mir nicht binnen der nächsten fünfzehn Sekunden einen brauchbaren Vorschlag präsentiert, schicke ich Euch allesamt ohne Ansehen der Person als Kandidaten in die «Traumhochzeit».“

„Nein! Nicht Linda! Nicht zu der! Gnade! Wir gestehen alles! Und noch mehr“, erhebt sich der Chor der Entrüsteten. Einer läßt sogar mit einem spitzen Schrei die Nagellackflasche fallen.
Eine sympathisch schleimig föhnfrisierte Gestalt wankt angstbleich hervor – es handelt sich um Hinz: „Ich will mich nicht einmischen, und es steht mir laut Vertrag ja auch gar nicht zu, eine eigene Meinung zu haben geschweige denn zu äußern, aber vielleicht war Plumps Idee gar nicht sooo verkehrt…“

Drohend blickt ihn Khoma aus durchdringenden Augen an, zeigt auf das Loch, in dem auch der ehemalige Teamchef verschwunden ist, und knurrt „Spring!“

Schlotternd versucht Hinz, seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen. „Nicht nur einfach Frühling. Öh, mit mehr Pep meine ich natürlich. So englisch eben. As large as life halt. «Springtime» sagt doch selbst der gebildete Engländer zum Lenz. Und ich hab da noch einen Bekannten, der war beim letzten Stammtisch gar nicht so gut drauf, fast schon depressiv, nicht wahr, und wenn ich den noch etwas bearbeite, kann ich ihn bestimmt dahin bringen, daß er demnächst der Farce seines Lebens Abbruch tut.“
„Wie meinen?!“ fragt der Chef verständnislos zurück.
„Nuuun… ich dachte, daß ich ihn auf unsere gewohnt subtile Art dahingehend beeinflusse, vor unserer zufällig anwesenden Kamera den Abgang zu machen. Vom Dach zu springen. Ich höre den Kommentar schon direkt vor meinem inneren Ohr: «Springtime – der Frühling ist bekanntlich seit Jahrhunderten die Jahreszeit, in der die Säfte in Bäume steigen, die menschlichen Hormone turnen und ihre Besitzer es ihnen gleichtun, indem sie reihenweise auf die Häuser klettern und dann das Vögelchen machen. Gerade in der heutigen Zeit der Obdachlosigkeit, der Wohnungsnot und der millionenfach auf uns einstürzenden Reize ist Bunjee-Springen ohne Seil eine saubere Sache. Deswegen ist es eine soziologisch wie politisch-humane hochanständige und sinnvolle Geste, diesen alten Ritus wiederzubeleben. Das schafft Platz.»“

Khoma, der bereits während des ergreifenden Plädoyers von Hinz zu einer wuchtigen Ohrfeige ausgeholt hat, bremst nun seine ausladende Handbewegung und setzt etwas tiefer an – zu einem energischen Händedruck. „Prächtig, mein Lieber. Aus Ihnen wird noch mal was. Setzen!“ Hinz erbleicht erschrocken, erkennt jedoch zu seiner großen Erleichterung, daß damit lediglich sein eigener, angestammter Platz gemeint war und setzt sich mit stolzgeschwellter Brust in Szene und hin.

„So, nehmt Euch alle ein Beispiel an Hinz! Und jetzt zum Schlachtplan. Nicht, daß mir jemand vorzeitig abspringt. Zunächst schicken wir dem ausgeschauten Opfer ein fingiertes Entlassungs­schreiben, das macht mürbe. Dann kümmert sich Luigi„golo“ Spannaus um seine Frau – das Übliche mit Blumen, Ehebruch und kompromittierende Photos, Ihr wißt schon. Falls das noch nicht reicht, können wir ja auch noch den Hund einschläfern (also zwei Stunden vor den Fernseher setzen – ganz besonders brutal!), sein Kind entführen, seinen Schrebergarten mit den seltenen Begonien abfackeln – die ganze Palette. Weitere quälende Details wird das «In-Team» ausbaldowern. An die Arbeit, Jungs – und viel Spaß!“

Froh, dem Büro des Tyrannen diesmal verhältnismäßig glimpflich entronnen zu sein (nur ein Versenkter), machen sich die jungdynamischen Reality-Spezialisten fröhlich pfeifend an ihren Routinejob.

Karl Khoma sitzt derweil auf der Büro-Terrasse, schaut in den von dem Sonnenuntergang in güldnes Licht getauchten Park und lauscht andächtig den Lerchen, die ihr lustig Liedchen in die milde Abendluft trällern. „Ach ja… Frühling…“

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