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Buchbesprechung: Erich Fromm „Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“

Ich muss gestehen, dass ich, obwohl ich schon vor zwei Jahren durch einen Kommentar hier im Blog auf das Werk von Erich Fromm aufmerksam gemacht wurde, erst jetzt dazu gekommen bin, mir eins seiner Bücher zu Gemüte zu führen. Und das, obwohl Fromm bereits in den 60ern und 70ern messerscharfe konsum- und systemkritische Analysen vorlegte, die auch in der heutigen Zeit (leider) noch absolut zureffend sind. „Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ soll sein zugänglichstes Buch sein, in dem er viele seiner Gedanken und Ansatzpunkte nachvollziehbar umreißt und darlegt. Und nach der Lektüre kann ich dem durchaus zustimmen und eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen!

Erich Fromm wurde 1900 in Frankfurt geboren, emigrierte 1934 in die USA, wo er an verschiedenen Universitäten u.a. Lehrtätigkeiten für Psychoanalyse wahrnahm und starb 1980. Mit den Jahren verfasste er eine beeindruckende Zahl von Büchern, in denen er viele Aspekte des Menschseins, der Gesellschaft, aber auch des Wirtschaftssystems und seinen Folgen für die psychische Gesundheit der Menschen verfasste. Seine Werke sind neben denen von Jung und Freud echte Klassiker und werden weltweit gelesen. Aus gutem Grund! Denn er legt immer wieder den Finger an die Wunden, die das profitorientierte Streben reißt – so auch in „Haben oder Sein“.

Für Fromm gibt es, wie der Buchtitel es auch schon andeutet, zwei verschiedene Arten menschlichen Daseins – das vom Haben und das vom Sein geprägte. Wir leben in der westlichen Welt seit vielen Jahrzehnten in einer Gesellschaft, in der es wichtig ist, zu besitzen, über Dinge zu verfügen und aus dem Kauf von Dingen Selbstbewusstsein und Zufriedenheit zu schöpfen. Doch nach und nach färbte dies auch auf alle anderen Lebensbereiche ab, so dass man auch Beziehungen wie Sachen „hat“ und als quantifizierbare Ausdruck des eigenen Werts sieht (siehe Facebook – „1789 Freunde“) und generell das ganze Streben darauf ausgerichtet ist, Besitz anzuhäufen, zu verteidigen und zu pflegen. Demgegenüber steht die die Existenzweise des Seins, in der man (grob vereinfachend gesagt) seine Befriedigung aus sich selbst heraus schöpft, aus dem, was man ist, wie man mit anderen Menschen umgeht, und in dem man sich an der Gegenwart erfreuen kann, ohne gleich alles, was man sieht oder hört, besitzen und nach Hause tragen zu wollen.

Mit diesen beiden Existenzweisen befasst sich Fromm im Wesentlichen auf den nachfolgenden Seiten und er zeigt, dass diese auch bestimme Formen der Gesellschaft hervorrufen bzw. bedingen. An Beispielen aus Religionen, in denen in frühen Zeiten das Sein gepredigt und das Haben verachtet wurde, zeigt er auf, wie sehr das Haben mittlerweile alles überschattet und mit vielen negativen Folgen einhergeht. Auch wenn ich die Kapitel über Meister Eckhart und andere religiöse Lehrer nicht so sonderlich spannend fand, so läuft Fromm im hinteren Teil des Buches zu absoluter Höchstform auf, wenn er in dem Kapitel über die „Voraussetzungen für den Wandel der Menschen“ schonungslose Kritik an der damaligen (das Buch entstand in den 1970er Jahren) und ja auch heute noch gültigen Dominanz des Konsums und der Wirtschaft über das wirkliche Leben übt. Dabei spart er die Medien, allen voran die Manipulationen der Werbung und des Marketings, genausowenig aus wie politisch-ideologische Irrwege (der Sowjetkommunismus bekommt hier wie der Kapitalismus sein Fett weg).

Wenn Wirtschaft und Politik der menschlichen Entwicklung untergeordnet werden sollen, dann muß das Modell der neuen Gesellschaft auf die Erfordernisse des nicht-entfremdeten, am Sein orientierten Individuums ausgerichtet werden. Das bedeutet, daß Menschen weder gezwungen sein sollen, in entwürdigender Armut zu leben – immer noch das Problem des größten Teils der Menschheit – noch durch die inhärenten Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft, die eine ständige Zunahme der Produktion und damit auch des Verbrauchs erfordern, zu einer Existenz als Homo consumens verurteilt werden dürfen, wie dies heute für die kaufkräftigen Schichten der Industriestaaten zutrifft. Wenn die Menschen jemals frei werden, d. h. dem Zwang entrinnen sollen, die Industrie durch pathologisch übersteigerten Konsum auf Touren zu halten, dann ist eine radikale Änderung des Wirtschaftssystems vonnöten: dann müssen wir der gegenwärtigen Situation ein Ende machen, in der eine gesunde Wirtschaft nur um den Preis kranker Menschen möglich ist. Unsere Aufgabe ist es, eine gesunde Wirtschaft für gesunde Menschen zu schaffen.

Insgesamt ein wirklich interessantes Werk, das für mich sicherlich der Einstieg in Fromms weitere Gedankenwelt sein wird.

Erich Fromm, „Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“, 1976/2005, dtv Verlag, 272 S., 7.90 €

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