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Lesetipps: Kranke Kinder | Versuchskaninchen der Pharmaindustrie | Das Spiegel-Spektakel

Eigentlich gilt der Sommer ja eher als Saure-Gurken-Zeit in der Presselandschaft – weil Urlaub herrscht und Schulferien sind und die Hitze und die Sonne sowieso aufs Hirn schlagen und zu Müßiggang und Herumhängen animieren. Aus diesem Grunde erscheinen in so mancher Zeitung in den Sommermonaten auch eher unspektakuläre, vielleicht sogar langweilige oder künstlich aufgeblasene Meldungen, um das sogenannte „Sommerloch“ zu füllen. Leider hat der immer weiter voran schreitende qualitative Verfall der Mainstreammedien dafür gesorgt, dass das ganze Jahr hindurch inzwischen Zeilen geschunden und mit halbseidenen Themen um Aufmerksamkeit gebuhlt wird – und das auch abseits des Boulevard, der sowieso seit jeher auf diese Weise sein Geld verdiente.

Ausgerechnet in der Satirezeitschrift Titanic, die sonst eher für teils derbe Späße unter der Gürtellinie bekannt ist und deren Humor ich nicht unbedingt immer teile (wenn man mal von Martin Sonneborns grandiosen Einsätzen absieht) befindet sich nun eine ausgesprochen gelungene und durch und durch ernsthafte Abrechnung mit Spiegel Online, dessen Hang zum Aufplustern von Non-Meldungen und puren Meinungen zu weltbewegenden Ereignissen offenkundig ist. „Über das Spektakuläre an Spiegel Online [1]“ betitelt Gärtner seinen Artikel über den „Leitwolf im Schafspelz“ und seine Teilnahme an unserer Gesellschaft des Spektakels:

(…) Denn Netzjournalismus, sofern er aus wirtschaftlichen Gründen und mit Blick auf Breitestwirkung betrieben wird, ist nicht irgendein Abfallprodukt für die Generation Smartphone, für das ihn der soignierte Qualitätszeitungsleser immer noch halten mag: Er ist, ganz im Gegenteil, Destillat, die Essenz von Journalismus als Geschäft, dessen Prinzip Hermann L. Gremliza vor dreißig Jahren so beschrieben hat: »Der Wettbewerb um die Gunst der Konsumenten zwingt die privatwirtschaftlichen Medien, alles zu unterlassen, was die Instinkte und Vorurteile der Leser, Hörer und Seher stören könnte. Ja, um gar kein Risiko zu laufen, müssen sie immer noch ein Stück tiefer ansetzen. Axel Springer sieht das schon ganz richtig: Wer in diesem Busineß Erfolg haben will, darf nicht belehren, aufklären, fragen – er muß unterhalten, bestätigen, verdummen.« Heute kann Springers Bild mit der Virulenz von »Spon« schon nicht mehr recht mithalten: Nicht nur sind die Zeiten, als Bild über die Grenzen ihrer Kernleserschaft hinaus als cool und zeitgeistig galt, vorbei; auch war Bild, außer für ihre Provinzkopien an Rhein und Elbe, nie Vorbild, und sollte sie je Pop gewesen sein, dann als Frivolität und Trash. Das Neue, im Grunde Perfidere am Netz-Spiegel ist seine Rolle als Nachrichtensender, die als Draperie fürs kundenbindende Remmidemmi dient (»Logbuch al-Qaida: Showdown im Apfelgarten«, 6.6.) und Imageprobleme kleinhält. Anders als Springers Kettenhund nicht im Schmuddeleck angepflockt, hat »Spon« mit demselben Crossover aus Sex, Crime und Politik (»Türkischer Wahlkampf: Sexvideos und Größenwahn«) paradigmatisch werden können: Nichts hat der allgemeinen Sensationitis und Boulevardisierung im Preßbereich so den Boden bereitet wie die Kopplung des Nimbus vom ewigen Nachrichtenmagazin ans sexy Atemlose des Netzmediums. (…)

(…) Aber zum postmodernen Leitmedium gehört eben jene Bereitschaft zum Spektakel, das Aufklärung ans tautologische, im engen Sinne bedeutungslose Gelärme verrät; der Verdacht liegt nahe, daß dieses simulatorische Sperrfeuer der eigentliche Zweck der sog. Informationsgesellschaft als Endlosquatschschleife ist – kein Zufall, daß die adjuvanten Will, Maischberger und Plasberg von »Spon« stets mit ausführlichen Fernsehkritiken bedacht werden. Der alte Print-Spiegel glaubte immerhin noch daran, »Sturmgeschütz der Demokratie« zu sein; unmöglich zu sagen, was sein virtueller Ableger als »postdemokratische« (Enzensberger) Hirnwaschmaschine noch wollen können sollte, als die gängigsten Axiome der Kulturkritik von Kraus über Adorno/Horkheimer bis Guy Debord stündlich frisch zu illustrieren: »Die durch das Spektakel prinzipiell geforderte Haltung ist diese passive Hinnahme, die es schon durch seine Art, unwiderlegbar zu erscheinen, durch sein Monopol des Scheins faktisch erwirkt hat … Im Spektakel … ist das Endziel nichts, die Entwicklung alles. Das Spektakel will es zu nichts anderem bringen als zu sich selbst«, und es unterliegt keinem Zweifel, daß kein Medium in Deutschland in diesem Sinne spektakulärer ist als »Spiegel online«. Das muß man anerkennen.

Diese Meldung hier sollte allerdings nicht im allgemeinen Strudel der belanglosen Trashnachrichten untergehen – auf RP-Online fand sich die durchaus bedenkliche und nachdenklich stimmende Nachricht: „Gesundheit von Kindern verschlechtert sich [2]“:

Die Gesundheit der Kinder in Deutschland hat sich einer neuen Umfrage zufolge nach Einschätzung von Kinderärzten in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert. Vor allem psychische Problemen und Verhaltensauffälligkeiten nehmen demnach zu. (…)

Besonders alarmierend ist demnach die Entwicklung bei der psychischen Gesundheit: 97 Prozent und damit fast alle der befragten Kinderärzte stellten eine Zunahme bei psychischen Problemen und bei Verhaltensauffälligkeiten fest. (…)

Dies könnte man jetzt mit einem „ach ja, wie schlimm“ schulterzuckend zur Kenntnis nehmen und zur Tagesordnung übergehen. Dass jedoch in dieser Meldung eine Art Spiegelbild unserer Gesellschaftsentwicklung zu sehen ist, darauf weist Egon W. Kreutzer mahnend hin und stellt in „Die Gesundheit der Kinder hat sich verschlechtert [3]“ unbequeme Fragen (dort dann bis zum 5. Juli 2011 runterscrollen – leider ist die Kreutzer-Website ja maximal unübersichtlich und designtechnisch noch ein Überbleibsel aus den Web 0.5-Tagen von vor 2000…):

Schuld sei

  • ungesunde Ernährung
  • Bewegungsmangel
  • zu viel Zeit vor Fernseher und Computer

Da frage ich mich:

  • Wie kommt es, dass unseren Kindern ungesunde Ernährung vorgesetzt wird? Wie kommt eine Gesellschaft überhaupt dahin, ihre Kinder (und nicht nur die) ungesund zu ernähren? Ist das nicht pervers?
  • Sollte man Kindern ungesunde Nahrung nicht ebenso verbieten wie Alkohol und Zigaretten?  Oder gibt es vielleicht gar nicht mehr genug gesunde Nahrung? Wird überhaupt nur noch Müll und Mist und Gammelfleisch und Kunstkäse und Klebschinken produziert, damit sich die Fütterung der großen Masse auch richtig lohnt?
  • Was hilft ein ganzes Verbraucherschutzministerium, wenn die Kinder wegen ungesunder Ernährung immer kränker werden?
  • Fehlt es nicht – vor lauter Wachstums- und Wettbewerbs- und Profit- und Exportinteressen an der Ernsthaftigkeit, endlich einmal etwas zum Besseren zu wenden, statt wortreich tatenlos zuzusehen, wie alles immer schlechter wird, solange nur die eigene Pfründe sicher ist?
  • Ist Bewegungsmangel bei Kindern nicht ein Zeichen dafür, wie krank, verhärtet und verkrustet unsere Gesellschaft ist? Wie hat man es geschafft, den natürlichen Bewegungsdrang der Kinder so zu unterdrücken?
  • Ist es nicht so, dass Kinder in einer Welt voller Verbotsschilder, voller Beton und Vorschriften gar keinen Platz mehr finden, an dem sie sich natürlich und naturgemäß bewegen, austoben könnten? Ist es nicht so, dass die Abenteuer, die Computerspiele und doofe Kindersendungen und verbotene Videos auf den Bildschirm zaubern ihren Reiz sofort verlören, gäbe es die Chance, ein einziges kleines Abenteuer selbst zu erleben?
  • Da frage ich mich: Hilft es, mehr Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen? Was hat man davon? Ja, man kann früher feststellen, dass Kinder sich falsch ernähren, sich zu wenig bewegen, zuviel auf die Glotze starren,
  • aber solange die Lebenswirklichkeit nicht geändert wird, solange wird auch eine Verzehnfachung von Vorsorgeuntersuchungen nur die zehnfache Zahl alarmierender Erkenntnisse hervorbringen, und wohlgemeinte, aber in den Wind gesprochene Empfehlungen an Eltern, denen in jedem Supermarkt die ungesunde Ernährung für ihre Kinder angedreht wird, die in jeder Schule vergeblich nach mehr als zwei Stunden Schulsport pro Woche suchen werden, die nicht wagen, ihre Kinder aus der Mietwohnung zum Spielen auf die Straße zu schicken, weil es dort zu gefährlich ist, und die es sich nicht leisten können, ihren Kindern wohlbehütete Abenteuerferien zu kaufen,

Krank? Da helfen doch die tollen Pillen unserer innovativen Pharmaindustrie! Andreas Möckli hat in der Schweizer Zeitung Tagesanzeiger einmal nachgeforscht, wie die Erforschung neuer Medikamente in der westlichen Pharmabranche so aussieht und erwartungsgemäß zu wenig erfreulichen Ergebnissen gekommen – „Die Versuchskaninchen der Pharmaindustrie [4]“:

Klinische Studien werden immer öfter in Entwicklungs- und Schwellenländern durchgeführt. NGO werfen den Pharmafirmen vor, sich nicht an die ethischen Regeln zu halten.

Die Entwicklung bleibt von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Immer mehr klinische Studien werden von der Pharmaindustrie in Entwicklungs- und Schwellenländern durchgeführt. Mit klinischen Studien werden Medikamente auf ihre Wirksamkeit und Nebenwirkungen getestet. Nichtregierungsorganisationen (NGO) werfen den Pharmakonzernen vor, sich in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht an dieselben strengen ethischen Richtlinien zu halten, wie sie in den Industrieländern gelten. Die Folge davon: Studienteilnehmer in diesen Ländern würden als Versuchskaninchen missbraucht.

Genaue Zahlen zum weltweiten Ausmass sind nicht erhältlich. Rund 26 Prozent der klinischen Studien, die in der EU zwischen 2005 und 2009 zur Zulassung eingereicht wurden, stammen aus den Regionen Asien, Lateinamerika, Afrika, Mittlerer Osten und Russland, wie ein Bericht der europäischen Arzneimittelagentur EMA festhält. Darin nicht enthalten sind die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten aus Osteuropa, die knapp 10 Prozent der Studien ausmachen. Zu den Hotspots für klinische Studien zählen China, Russland, Indien, Brasilien, Polen und Südafrika.

Schlecht geschützte Probanden

Die NGOs werfen der Pharmaindustrie vor, die schwache Position der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern auszunutzen. Für diese Leute sei dies oft der einzige Weg, um an Medikamente zu gelangen, sagt Annelies den Boer von der holländischen NGO Wemos. Wegen der schwachen Aufsicht der Behörden vor Ort seien die Studienteilnehmer vor Missbräuchen schlecht geschützt. «Leidet ein Patient an Nebenwirkungen, so streiten die Pharmaunternehmen oftmals einen Zusammenhang mit ihrem Medikament ab», sagt den Boer. Damit stehe der Patient in der Beweispflicht und nicht das Unternehmen. «Diesen Beweis zu erbringen, ist für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern sehr schwierig.» (…)

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