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Surftipp (?): digitale-gesellschaft.de – Pro und Contra

Dass das Word Wide Web unser aller Leben in den letzten 15 Jahren verändert und zunehmend geprägt hat, ist ja nun eine Binsenweisheit – schon die Tatsache, dass Ihr diesen Beitrag hier mit Eurem Browser lest, ist ein Beweis für die Bedeutung des Internet. :-) Da wir in einer digitalen Gesellschaft leben, beeinflusst nicht nur durchs Internet, sondern auch durch Smartphones u.ä., scheint es nur ein logischer Schritt, dass sich vermehrt Initiativen bilden, die sich mit dem Dasein in dieser gewandelten Welt befassen – so gibt es seit Mittwoch das neue deutsche Projekt Digitale Gesellschaft [1], das aktuell stark medial gehypt wird und dessen Grundidee die Macher wie folgt umreißen:

Wir wollen zwei Grundprobleme lösen:

Wir wollen eine Kampagneninfrastruktur aufbauen und die Durchführung von Kampagnen ermöglichen.

In den vergangenen Jahren gab es eine Vielzahl an Kampagnen, gegen die Vorratsdatenspeicherung, das Zugangserschwerungsgesetz oder für den Erhalt der Privatkopie. Alle Kampagnen standen vor dem Problem, erst einmal Infrastrukturen und ein Unterstützernetzwerk aufzubauen. Dazu fehlten oft Menschen, die Zeit haben, diese Kampagnen zu betreuen – und manche Kampagnen erreichten nur bereits Informierte.

Das wollen wir ändern. Wir wollen auf Erfahrungen aus anderen sozialen Bewegungen wie der Umweltbewegung aufbauen und diese digital weiterdenken. Dazu zählt der Aufbau einer eigenen Kampagneninfrastruktur für digitale Bürgerrechte. Wir wollen Kampagnen planen und durchführen, die auch Menschen außerhalb sehr internetaffiner Communities erreichen. Und wir wollen die Menschen dort abholen, wo sie sind – ob im Internet oder auf dem Parkplatz.

Wirksame Interessenvertretung für digitale Bürger- und Verbraucherrechte

Auf nationaler und europäischer Ebene gibt es eine Vielzahl an Unternehmen, Sicherheitsorganisationen und ihrer Verbände, die für ihre einseitigen Interessen werben. Was bisher fehlte ist eine starke Nutzervertretung, die sich in aktuelle Gesetzesprozesse einmischt, Stellungnahmen aus Nutzersicht dazu verfasst und diese Interessen auch bei Anhörungen und in Gesprächen mit Politikern nachdrücklich vertritt.

Wir wollen eine offene und freie digitale Gesellschaft erhalten und mitgestalten.

So werden auf der Website diverse Themen angesprochen, sei es Lobby-Transparenz, Datenschutz oder Open Data (also das Öffentlichmachen öffentlicher Daten & Verträge, die bisher oft unter Verschluss gehalten werden). Ob die Welt nun auf diese Site gewartet hat, sei mal dahingestellt. Es wird interessant sein, zu erleben, ob und wie sich die digitale Gesellschaft, also zum einen dieses Projekt als vor allem natürlich auch wir als Gesellschaft, sich in der Zukunft weiter entwickeln werden. Wobei es auch jetzt schon deutlich kritische Stimmen zu diesem Projekt bzw. seiner Machart, seiner mangelnden Transparenz und vermuteten Nähe zu PR gibt, allen voran von FIXMBRDie ‘Digitale Gesellschaft’ ist nicht die digitale Gesellschaft [2]“:

Markus Beckedahl und ein paar Mitstreiter haben in Berlin den Lobbyverband Digitale Gesellschaft [1] gegründet. Transparenz, Offenheit, Miteinander — das, was das Internet in seinem Ursprung ausmacht, findet man aber bei der «Digitalen Gesellschaft» nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Intransparenz und ein Closed Shop sind die Grundpfeiler der selbsternannten Lobbyisten. Interessierte sind für «Zahlemann und Söhne», sowie für die alltägliche Arbeit eingeladen. Vielleicht kann man es polemisch in einem Satz zusammenfassen: Markus Beckedahl hat sein eigenes Kaiserreich geschaffen. Doch nicht nur das, es gibt weitaus mehr Kritikpunkte. (…)

(…) Mit obigen Kritikpunkten könnte man leben — wen interessiert schon eine kleine Lobbyvereinigung mit 15–20 Mitgliedern (je nach Quelle)? Im Prinzip Niemanden. Mit dem Namen, dem eigenen Auftreten und den Interviews in den etablierten Medien durch Markus Beckedahl jedoch bekommt die «Digitale Gesellschaft» einen ganz fiesen Beigeschmack. Wir stehen nun vor der Tatsache, dass Markus Beckedahl und seine Mitstreiter für die digitale Gesellschaft, die Netizens, wie auch immer die Bezeichnung derer in der Vergangenheit lautete, die Bloggen, twittern, podcasten, am Netz partizipieren, «offiziell» sprechen. Das gesamte Auftreten Beckedahls und der «Digitalen Gesellschaft» hat ein Ziel: «Seht her, wir sind nun die Vertretung aller im Netz Aktiven und Ansprechpartner für die Medien.» Man kann dies durchaus anmaßend oder gar größenwahnsinnig nennen — die Realität spiegelt es aber nicht im Ansatz wieder. (…)

(…) Im Prinzip könnte die Gründung eines Vereins durchaus Sinn machen, nicht aber, wie es die «Digitale Gesellschaft» vorlebt. Sie verstößt gegen alles, was das Netz groß und liebenswert gemacht hat. Sie ist in der derzeitigen Form ein Sargnagel für die demokratische Struktur, die Offenheit, die Transparenz und insbesondere Meinungsvielfalt im Internet. Sie ist das Gegenteil dessen, was sie vorgibt, zu sein. Ein Wolf im Schafspelz.

Den seit einiger Zeit vermehrt hochkochenden Bestrebungen in der Politik, vieles vom Treiben im Netz zu reglementieren oder zu sperren (siehe die Pläne bezüglich Glücksspiel/Wetten im Internet), sollte – ganz unabhängig von besagter neuer DG-Website – auf jeden Fall Aufklärung und ein Blick für das Neue entgegengesetzt werden. Der Kampf um die Durchkommerzialsierung des Webs tobt natürlich von Anbeginn an und stellt neben den politischen Begehrlichkeiten ebenfalls eine sehr große Gefahr für ein freies Netz dar. Denn wenn die Konzerne in der digitalen Welt die selbe (Markt-)Macht und Meinungshoheit entwickeln können, wie in der analogen, werden PR, Schleichwerbung, Grünfärberei, Reklame, Viral Ads & Co. manches von der Offenheit des Internet zerstören können. (Dazu ist übrigens auch der Artikel von Sascha Lobo im Spiegel, „Warum die Politik Netzsperren liebt [3]“, recht lesenswert.)

Dann vielleicht doch lieber den amüsanten und interessanten Vortrag von Gunter Dueck auf der re:publica 2011 zum Thema „Das Internet als Gesellschaftsbetriebssystem“ anschauen:


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