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Das Wirtschaftswachstum ist uns heilig

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© svilen001, stock.xchng

Seit ein paar Monaten dröhnt es uns ja aus allen „Leitmedien“ entgegen – der Aufschwung sei da, endlich gebe es wieder Wirtschaftswachstum, hurra, juchhe, das Goldene Kalb der Neuzeit steht wieder auf dem Sockel und darf umtanzt werden. Es ist schon erschreckend zu sehen, dass an unseren politisch Tätigen offenbar alle Erkenntnisse und Entwicklungen im Zusammenhang mit den vielen negativen Folgen dieses einseitigen Fokus auf das Wachstum komplett vorüberzugehen scheinen. Da wird immer noch dem Nachkriegsmythos „Wirtschaftswunder“ gefrönt, es solle mehr produziert und konsumiert werden, damit es allen besser gehe, nicht zuletzt ja auch den Armen in der Dritten Welt und anderswo. Dass gerade dieses System zu dem heute herrschenden Ungleichgewicht beigetragen hat, fällt dabei genauso unter den Tisch wie die gefährlichen Auswirkungen einer solch im besten Falle einäugigen Wirtschaftspolitik auf die Umwelt.

Ich hatte diese Thematik im Laufe der Jahre ja immer wieder in meinem Blog auf die Tagesordnung gesetzt, da ich dies für einen eminent wichtigen Punkt halte, der aber eben bei vielen Entscheidern nicht gesehen wird – wer nur im Legislaturperiodenzyklus denkt, hat natürlich keinen Blick für die langfristigen Folgen und Schäden, siehe auch Atompolitik etc. Dabei dient ein Wirtschaftswachstum letztlich nur dazu, das Ende dieses zerstörerischen Wirtschaftssystems hinauszuzögern… Neulich bin ich nun auf einen spannenden Beitrag gestoßen, der gut hierzu passt – im Interview mit der Berner Zeitung wird der Schweizer Wirtschaftsjournalist Urs P. Gasche befragt und äußert sich betont skeptisch zu dieser einseitigen Betrachtungsweise eines vernünftigen Wirtschaftens – „Wie eine große Liebe, die scheitert [2]“:

Das Wirtschaftswachstum ist uns heilig. Ketzerisch schreibt der Publizist Urs P.Gasche gegen diese Religion an, jetzt gerade mit BZ-Autor Hanspeter Guggenbühl in einem neuen Buch. Das Problem, sagt Gasche, spitze sich zu.

(…) Leute wie Sie bleiben Warner in der Wüste.

Die Schweiz entwickelt sich tatsächlich zu einer Wüste, einer Betonwüste, wenn wir nochmals so viel unseres schönen Landes verbauen wie in den letzten 50 Jahren. Doch die Medien berichten erfreut, dass die Bauwirtschaft in den letzten Jahren weiter zugelegt hat. Aber es bewegt sich etwas: Immer mehr Leute realisieren, dass unsere Zukunft nicht von einer weiteren Wachstumsspirale abhängen kann. Deshalb war unser erstes Buch schnell vergriffen. Dann liegt es auf der Hand, ein neues Buch mit derselben Botschaft zu schreiben. Wir gehen ein paar Schritte weiter. Die Gefahr eines Wachstums-Crashs hat sich verschärft. Denn das Wachstum beruht heute nicht nur auf der Plünderung der Energie- und Rohstoffvorräte, sondern auch auf einer immer waghalsigeren Schuldenwirtschaft. Wir beschreiben neu auch konkrete Wege für die Befreiung vom Wachstumszwang. Wachstumsverweigerung kann ziemlich egoistisch sein. Einwohner von Berner Vorortsgemeinden wehren sich gegen Einzonungen, weil sie sich ihren privilegierten Ausblick ins Grüne nicht verbauen lassen wollen. Dabei müsste man Platz schaffen, denn die Schweizer Bevölkerung wächst (…)

Auch im Tagesgespräch mit dem Schweizer Rundfunksender DRS führt er seine Thesen weiter aus – „Schluss mit dem Wachstumswahn [3]“:

Die Vorräte auf dem Planeten Erde schrumpfen, wir verbrauchen zu viel und wollen immer noch mehr – wachsen, wachsen und wachsen. «Schluss mit dem Wachstumswahn» fordert deshalb ein neues Buch, das sich als Plädoyer für eine Umkehr versteht. Mitgeschrieben hat es Urs P. Gasche. Er war früher Leiter des «Kassensturz» und arbeitet heute als Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor.

>> Download der Sendung als mp3 [4]

Dazu passt letztlich auch das Interview mit Hans Christoph Binswanger im Spiegel, und auch wenn er weniger solch (notwendige) fundamentale Kritik wie Gasche äußert, kritisiert er aber dennoch dieses Anbeten eines möglichst hohen (oft durch Export geförderten und somit für viele Menschen im Land wenig spürbaren) Wachstums – „Die deutsche Wirtschaft wächst zu schnell [5]“:

Hans Christoph Binswanger war Doktorvater von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann – doch von Kapitalismus pur hält der emeritierte Professor nichts: Im Interview spricht er über Wachstumswahn, drohende Öko-Katastrophen und die Frage, wie sich Finanzkrisen verhindern lassen. (…)

(…) Frage: Wirtschaftswachstum ist ein wichtiger Indikator für Wohlstand. Je mehr, desto besser, heißt es seit eh und je. Was ist daran falsch?

Binswanger: Regierungen und Wirtschaftsforscher schielen immer nur auf das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandindikator. Dabei weiß man längst, dass die Zahl wenig über den tatsächlichen Wohlstand einer Gesellschaft aussagt. Sie misst nur das, was man kaufen kann. Aber auch Dinge, die man nicht kaufen kann, bringen Wohlstand, wie eine intakte Natur, gute Nahrung, frische Luft. Diese Dinge müssen in den Begriff des Wohlstands mit einbezogen werden. Die Wachstumsversessenheit muss ein Ende haben.

Frage: Und wenn wir so weiter machen wie bisher?

Binswanger: Dann steuern wir direkt auf eine ökologische Katastrophe zu und damit auf weitere viel schwerere Wirtschafts- und Finanzkrisen als die gegenwärtige. Die Staaten sind hoch verschuldet und können künftig keine großen Konjunkturpakete mehr schnüren. (…)

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